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Friedrichshafen (sap) — Alkohol, Drogen, Computerspiele – die Suchtgefahren für Jugendliche sind vielfältig. Und das Leid ist groß, sobald sie in diesem teuflischen Kreislauf gefangen sind. Denn eine Abhängigkeit hat nicht nur zerstörerisches Potenzial für die Konsumenten selbst, sondern betrifft deren gesamtes Umfeld. Väter, Mütter und andere Familienmitglieder leiden und geraten an die Grenze ihrer Belastbarkeit.
Ihr Denken und Handeln dreht sich beinahe ausschließlich um die Frage: Wie kann ich meinem Kind helfen? Der Elternkreis Friedrichshafen will Abhilfe schaffen und buchstäblich Raum geben, um Kraft zu tanken, lernen loszulassen, aber auch sich gegenseitig zu stützen und Mut machen.
„Wir haben hier alle die gleichen Probleme“, sagt Regina Staudte. Anfang April 2019 hat sie die Häfler Gruppe ins Leben gerufen, die zur Baden-Württembergischen Landesvereinigung der Elternselbsthilfe Suchtgefährdeter und Suchtkranker gehört. An jedem zweiten Montag des Monats finden sich aktuell etwa acht Angehörige in den Räumen des Jugendtreffs „Kontra“ in der Ernst-Lehmann-Straße 26 in Friedrichshafen zusammen.
„Ich war zuvor in einer anderen Region aktiv und bin hier hergezogen“, berichtet Staudte. „Ich war mir sicher, dass es auch hier Bedarf gibt.“ Die Schicksalsgemeinschaft, die sich regelmäßig hier zusammenfindet, tauscht belastende Erlebnisse aus. An diesem Abend gestatten die Männer und Frauen mir einen Einblick in ihre Sorgen und Nöte.
Ihr Vertrauensvorschuss beeindruckt mich, denn das Thema Sucht ist in unserer Gesellschaft sehr stark mit Scham und Tabus belegt. „Das erste Mal zu diesem Treffen zu kommen, hat mich sehr viel Überwindung gekostet“, verrät Andrea (die Namen sind von der Redaktion geändert), die sich bewusst einer Selbsthilfegruppe in einiger Entfernung zu ihrem Wohnort angeschlossen hat. „Ich hatte Angst, jemandem zu begegnen, der mich kennt.“
Inzwischen würde sie das nicht mehr stören, „denn wir haben hier ja alle dieselben Sorgen.“ Die Erinnerung an ihr erstes Mal in der Gruppe ist absolut positiv. „Das tat so gut. Da waren plötzlich Menschen, die mich verstehen.“ Marianne (auch dieser Name ist verändert) ergänzt: „Hier prangert keiner den anderen an und wir können offen reden.“
Im Austausch mit Freunden und Bekannten, deren Kinder keinen problematischen Umgang mit Suchtmitteln haben, schwinge immer ein Gefühl der Schuld mit, berichten an diesem Abend alle Anwesenden. Oft unausgesprochen, ungerechtfertigt und gefühlt immer da, nähre dies Selbstzweifel, die sich unerbittlich in Herz und den Verstand bohre.
Dabei ist niemand schuld daran, dass ein anderer Mensch süchtig wird, unterstreicht Gruppenleiterin Staudte. „Allein der Abhängige entscheidet sich dafür, Drogen zu nehmen.“
Deshalb sei die Selbstfürsorge ein wichtiger Aspekt bei den Gruppenabenden. Gemeint seien die Dinge, die Eltern und Angehörige machen können, damit es ihnen trotz der schwierigen Situation besser geht. So berichtet Marianne, die gemeinsam mit ihrem Mann zu den Treffen kommt, von einem ständigen Auf und Ab der Gefühle.
Das Paar begleitet seit 20 Jahren seinen suchtkranken Sohn. Mit 14 Jahren sei er in die Drogensucht gerutscht und hat schon viel hinter sich, erzählen die beiden. „Wir sind nie ganz frei.“ In all den Jahren hätten sie lernen müssen, loszulassen – sich abzugrenzen.
„Während unserer Treffen versinken wir aber nicht im Sumpf der Probleme – auch ein gewisser Galgenhumor und gemeinsame Aktivitäten gehören hier auch dazu“, hält Mariannes Mann fest.
Wer Kontakt zum Elternkreis suchtgefährdeter, suchtkranker Töchter und Söhne in Friedrichshafen aufnehmen möchte, kann ab 16 Uhr anrufen unter 0176 / 83 53 80 96, eine E-Mail schreiben an info@elternkreis-bodensee.de oder findet weiterführende Informationen im Internet unter www.elternkreis-bodensee.de.