Nur starke Eltern können helfen
Zuerst eine Tüte rauchen, mal sehen, wie es bei mir wirkt. Dann hier und da mal einen mit Hasch angereicherten Keks oder ein Stück Kuchen essen und sich lustig fühlen. Was ist denn schon dabei? Auch bei Jan (Namen geändert) fing es mit 14 Jahren genauso und scheinbar harmlos an. „Mama, mach dir keine Sorgen, ich kann ja wieder aufhören“, erzählte er seiner Mutter. Dem harmlosen Anfang folgten über sechs Jahre harten Drogenkonsums bis hin zur Schwerstabhängigkeit. Momentan lebt Jan in der Drogensubstitution, auch Drogenersatztherapie genannt.
Dass er Drogen konsumiert, „habe ich sofort an seiner Wesensveränderung gemerkt“, erklärt Jans Mutter. Ihr erster Weg führte sie damals zur Drogenberatungsstelle. Trotzdem denke man immer noch, dass man es alleine schaffe. Denn in der eigenen Familie könne so etwas ja wohl nicht sein. Mit 15 Jahren hatte Jan seine erste Entgiftung. Er war damals der einzige in der Gruppe, der sie bis zum Schluss durchhielt. Zum Aufatmen kam die Familie dennoch nicht, denn nur einen Tag später wurde Jan rückfällig. „Dann ging es ganz rapide“, erinnert sich seine Mutter, die das Ganze wie „ohnmächtig“ erlebte. „Man sieht sein Kind sterben“, beschreibt sie ihr Gefühl, und man merke, dass man nur noch gegen Wände laufe. „Ich kam mir vor wie eine Puppe, an der von jeder Seite gezogen wurde.“
Fünf Jahre brauchte sie, bis sie so weit war, sich selber helfen zu lassen und Kontakt mit dem „Elternkreis drogengefährdeter und drogenabhängiger Jugendlicher“ in Radolfzell aufnahm. Hier fand sie die Menschen, die sie verstanden und Hilfestellungen gaben und die ihr letztlich auch rieten, ihren Sohn in der letzten Konsequenz rauszuschmeißen, um ihm zu zeigen, dass man Drogen in der Familie nicht akzeptiere. Seinen eigenen Weg muss trotzdem jeder selber finden. Dennoch gibt es Grundsätze: Weder Ursachenforschung noch eigene Schuldzuweisungen bringen einen weiter. „Man muss loslassen können, ohne den anderen fallen zu lassen“, beschreibt Renate Auer, Leiterin des Elternkreises, den Schritt, den Betroffene zuerst machen müssen. Der Süchtige muss lernen, die Verantwortung in die eigene Hand zu nehmen. Erst als Jans Mutter es weitestgehend verinnerlicht und gelernt hatte, konsequent „Nein“ zu sagen und ehrlich und klar gegenüber dem Sohn auftrat, ging es für sie und ihre Familie voran. Zudem musste sie lernen, sich nie wieder in eine Co-Abhängigkeit zu begeben: Das heißt, keine Entschuldigungen mehr für die Schule zu schreiben, keine Arzttermine mehr für den Sohn zu organisieren und vor allem ihm kein Geld in die Hand zu geben.
„Suchtgefährdete Kinder und Jugendliche brauchen starke Eltern“, erklärt Renate Auer. Dabei hilft den Betroffenen der Elternkreis, der Angehörige oder auch Freunde auffängt und ihnen zuhört. „Wir sind füreinander da und tauschen unsere Erfahrungen aus“, beschreibt Renate Auer die Aufgabe des Elternkreises, den sie über 25 Jahren leitete. Dabei machte sie die Erfahrung, dass Sucht alle gesellschaftlichen Schichten betrifft und meint: „Man muss es nur vor sich selber zugeben, zur Sucht des eigenen Kindes stehen, daneben aber dem Abhängigen die Suchtkarriere so schwer wie möglich machen. Nur so hat man eine Chance.“
Antje Kirsch, Südkurier 20.06.2008
So erkenne ich Sucht
Merkmale
langjährige Freundschaften brechen ab, mangelnde Motivation, Müdigkeit, starke Pupillenveränderungen, Schweißausbrüche, Handzittern, Unruhe, Schlaflosigkeit, Leistungsabfall in der Schule, vermehrter Geldbedarf, Stimmungsschwankungen.
Das kann ich tun
Ruhe bewahren und nicht in Panik geraten. Hausarrest oder Vorwürfe helfen nicht. Es sollte die Frage gestellt werden: Was fehlt dir, dass du Drogen nimmst? Hilfe bei Suchtberatungsstellen und im Elternkreis suchen.
Das ist der Elternkreis
Dort treffen sich Eltern, Großeltern, Geschwisterkinder und Personen, bei denen ein Kind mit Suchtproblemen lebt. Treffen: jeden ersten Mittwoch im Monat von 19 bis 22 Uhr im Mehrgenerationenhaus in der Teggingerstr.16 in Radolfzell.